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Beitrag vom 27.03.2009
Miss Kittin and the Hacker - Two
Claire Horst
"Was, die gibt es immer noch?" Das war die spontane Reaktion eines Freundes auf die neueste Veröffentlichung von Miss Kittin&The Hacker. Tatsächlich hat das Duo aus Frankreich eine lange...
... Karriere hinter sich.
Schon in den frühen Neunzigern, als der Siegeszug des Techno erst langsam seinen Anfang nahm, machten sie sich einen Namen mit ihren gemeinsamen DJ-Sets. Ungewöhnlich war damals, dass sie ihre Eigenproduktionen wie Popsongs mit Strophen und Refrains aufbauten, beeinflusst von Bands der Achtzigerjahre wie New Order und Depeche Mode.
Beide verfolgten parallel ihre Solo-Karrieren (von Miss Kittin zuletzt "BatBox"), und ihr erstes und bislang letztes gemeinsames Album brachten Caroline Hervé und Michel Amato bereits 2001 heraus. Große Hits wie "1982", eine Hommage an die Achtzigerjahre, waren darauf vertreten. Mit ihrem unterkühlten Sound, der sich besonders durch Miss Kittins leicht gelangweilte Stimme auszeichnet, traten sie eine neue Welle der Technobegeisterung los, als diese schon fast beendet war.
Bei Live-Auftritten fühlten sich viele an New Wave-Bands erinnert: Miss Kittin trat gern im Latex-Krankenschwestern-Kostüm auf, während The Hacker den Mann im Hintergrund gab. Dieses sterile und dennoch erotisch angehauchte Auftreten passt gut zum Stil ihrer Musik. Auch das neue Album, konsequent "Two" betitelt, wirkt beim ersten Hören wenig zugänglich. Miss Kittins Stimme hängt irgendwo in den Weiten des Raums, untermalt von Synthesizerklängen, die - zunächst - wenig inspiriert wirken. Das Ohrwurmpotential von Tracks wie "1000 Dreams" kommt erst beim zweiten Hören zum Tragen.
Wie immer bei Miss Kittin zeichnet sich das Album durch seine Vielseitigkeit aus. "PPPO" erinnert streckenweise an Malaria. Deren Sängerin Gudrun Gut könnte ein Vorbild für Miss Kittins Sprechgesang gewesen sein. "Party in My Head" deutet an, wo Miss Kittin&The Hacker eigentlich herkommen, nämlich aus der Clubszene. Und genau hier liegt das Problem. Teilweise fühlt man sich an den eingängigen Elektromix erinnert, der als "Eurobeat" bekannt ist und aus viertaktigen Beats und zumeist einer Frauenstimme besteht – gern hört man ihn auf Jahrmärkten. Der Vertrieb der beiden nennt das "cluborientierten Cyberpop". In diese Kategorie gehört auch die Clubversion von Elvis Presleys "Suspicious Minds". Einerseits möchte man Miss Kittin&The Hacker gern zu ihrem Mut gratulieren, andererseits hinterlässt der Track ein peinlich berührtes Gefühl. Schade. Das wäre nicht nötig gewesen.
Denn das, wodurch Miss Kittin sich von Beginn an auszeichnete, glasklare und eiskalte Sounds und großen Einfallsreichtum, ist noch vorhanden. Das neue Album macht wieder deutlich, warum sie zu einer der bekanntesten VertreterInnen des Electroclash wurde, und KünstlerInnen wie Peaches oder Fischerspooner beeinflusste. "Inutile éternité", das sie ausnahmsweise auf Französisch singt, überzeugt wieder. Hier passt alles: Stimme, Loops und Samples, etwa Windgeräusche, die die "inutilité" untermalen. Das Hitpotential früherer Tracks findet sich aber bei keinem der Tracks. Die distanzierte Ästhetik klingt manchmal einfach gelangweilt.
Konzerthinweis: 09. April 2009, Lido, Cuvrystr. 7, 10997 Berlin, Telefon: 030 – 78 95 84 10
Miss Kittin & The Hacker im Netz: Auf MySpace und www.misskittinandthehacker.com (Hier verschenkt das Duo die Radio Edition ihrer Single "1000Dreams" anlässlich des Releases am 27.03.2009, einen freien Download gibt es auch.)
Videos finden sich unter vimeo.com, zum Beispiel: Suspicious Minds
Weiterhören: Miss Kittin - Batbox und Ellen Allien - Boogy Bytes Volume 04
AVIVA-Tipp: Das zweite Album von Miss Kittin&The Hacker ist hörenswert, obwohl sich zwiespältige Gefühle einstellen. Wer endlich mal wieder tanzen und sich an großartige Partynächte zurückerinnern will, dem und der sei das Album (und natürlich der Live-Auftritt im Lido) ans Herz gelegt.
Miss Kittin & The Hacker
Two
Label: Nobody`s Business / Groove Attack, VÖ März 2009